Zukunft vergessen
Dieses Projekt beschäftigt sich mit der Frage, welche Einstellung zur Zukunft (der anderen) man haben sollte – wie ernst und wichtig sollte man sie nehmen? Ausgangspunkt ist dabei die im Kontext von climate/eco anxiety zutage tretende Beobachtung, dass eine tiefe und ernste, moralisch motivierte Sorge um die Zukunft (anderer Menschen) zu einer quälenden Sorge im eigenen Leben werden kann, wenn der gesellschaftliche Mangel an Sorge um die Zukunft – das allgemeine Nichtstun – die moralisch gebotene persönliche Sorge um die Zukunft so hoffnungslos unerfüllbar erscheinen lassen, dass es zunehmend schwierig wird, ein erfülltes Leben zu führen, weil man am kollektiven Scheitern verzweifelt. In solchen Fällen kann man sich fragen, ob man sich unter diesen Umständen vielleicht doch weniger um die Zukunft sorgen sollte oder ob es nicht alles in allem betrachtet besser wäre, angesichts der kollektiven Zukunftsvergessenheit selbst die Zukunft zu vergessen.
Die Frage nach der angemessenen Einstellung gegenüber der Zukunft (der anderen) ist in diesem Zuschnitt mit anderen philosophischen Debatten verwoben, etwa der klassischen Diskussion um Zukunftsverantwortung und intergenerationelle moralische Pflichten, der erweiterten Diskussion um die normative Bedeutung von Zeit und die Diskussion um die Bedeutung von Zeit und zeitbezogenen Einstellungen für das eigene gute und sinnerfüllte Leben. Die Frage setzt auch das Anliegen einer Theoriebildung unter nicht idealen Umständen fort, kognitive, affektive, motivationale Begrenzungen in der Zukunftsethik ernst zu nehmen und ideale Normen im Lichte der realen empirischen Schranken zu reflektieren – und dazu gehören auch diejenigen Schranken, die aus moralischer Verzweiflung erwachsen, wenn die Sorge um die Zukunft der anderen zur Qual im eigenen Leben wird.
Die Überlegungen des Projektes lassen sich dabei auf einer allgemeineren Ebenen auch losgelöst vom Klima- und Umweltkontext als Reflexion über die Rationalität von Verzweiflung und Hoffnung angesichts des Scheiterns moralisch motivierter persönlicher Projekte verstehen – und als Versuch, eine tiefere Spannung im Ideal des guten Lebens in moralischer Eintracht besser zu verstehen.